Hartmut Witte
Schwere verwandelt in Dynamik



Das Werk des Düsseldorfer Bildhauers Friederich Werthmann nimmt einen besonderen Platz in der Kunst der letzten 50 Jahre ein, gerade weil es keiner Richtung wirklich zugeschlagen werden kann. Sein Werk wird zwar gelegentlich mit dem Informell in Verbindung gebracht, dem widerspricht aber, daß die Skulpturen Werthmanns eben nicht dem Zufall, sondern einem klaren Konzept folgen.
Seine seit 1957 ausschließlich aus Stahl gestalteten Skulpturen verwandeln die Schwere und die Statik des Materials und der stets geometrischen Formen – Kugel, Kubus, Zylinder usw. – in Dynamik. So ist es in der ersten Werkgruppe der Jahre 1957 bis 75 etwa die Dynamik strukturierter und kontinuierlicher Bewegtheit, wo sphärische Ballungen Form und Raum umschreiben. In dieser Phase steht ganz die Schweißtechnik im Vordergrund, das Verbinden oft kleinteiliger Elemente zu in sich oder oberflächlich vibrierender bzw. sich durchdringender Formen.
Die zweite Werkgruppe ab 1975 betont die Dynamik der Form, die von ihr ausgehende Kraft, die nach außen drängt und die eigenen Grenzen, die Umhüllung sprengt. Dies wird im wahrsten Sinne des Wortes erreicht, durch Gestaltung mit der Kraft explodierenden Dynamits, das, je nach Dosierung, den Stahl formt oder aufbricht. Die harte Form wird durch den Druck der Explosion scheinbar aufgeweicht, und die Skulpturen erhalten trotz ihrer tatsächlichen Schwere eine faszinierende Leichtigkeit, gesteigert noch durch den seidigen Glanz des polierten Chrom-Nickel-Stahls.
Die dritte Werkgruppe ab 1987 betont die Dynamik des Raumes, der aufgenommen und strukturiert wird durch Bewegungslinien – Stahlstangen weisen die Richtung. Der Wechsel der Raumbeschreibung vollzieht sich in geschweißten, knotenartigen Verdickungen. Die „Parallelogramme“ beschreiben ausschnitthaft offene, nicht statische Räume, entsprechend beginnen die Skulpturen bei der leisesten Berührung zu vibrieren.
Diese beschriebenen Beobachtungen ziehen sich – mit unterschiedlicher Gewichtung – durch das Gesamtwerk, wie ferner das Prinzip der Rhythmisierung und der Variation als Reihung oder Gruppierung – sowohl innerhalb einzelner Arbeiten wie auch als Ensemble aus einer Vielzahl von Objekten.
Während in der tradierten Plastik in der Regel die der Natur entlehnten Formen zur Kunst führen, so erfährt bei Werthmann die statische geometrische Form und das nüchterne, industriell bestimmte Material durch die Bearbeitung einen Wandlungsprozeß, der über die Kunst zum Natürlichen führt.
Die Pinselzeichnungen Werthmanns sind keine die Plastiken vorbereitende Bildhauer-Zeichnungen, dennoch sind sie in ihrer fast explosiven Gestik und dem Aufeinandertreffen und dem Innehalten von Energie und Bewegung eng mit dem Gestaltungskonzept der Skulpturen verbunden. Noch deutlicher wird der Zusammenhang in den „Pyrogrammen“. Sie folgen dem Prinzip der Radierung, wobei das Material – die Metallplatte – fast bildhauerisch bearbeitet wird: mit Feuer geformt, geschweißt, geschnitten. Im Abzug durch die Radierpresse bekommen die Drucke eine dem Stahl bildlich sehr ähnliche Oberfläche.

In: Folder zur Ausstellung in der Galerie Idea & Art in Bad Honnef 1997