Hartmut Witte
Es gibt sie doch: Die Skulptur des Informel


Die Kunst des deutschen Informel findet seit einiger Zeit endlich wieder erneute Beachtung und Würdigung in Ausstellungen und in Auktionen auch Wertschätzung. Da geht es u.a. um Maler wie Karl Fred Dahmen, Winfred Gaul, K.O. Götz, Gerhard Hoehme, Emil Schumacher, Heinz Trökes, Fred Thieler, Hann Trier und nicht zuletzt um Peter Brüning, dem im kommenden Frühjahr im Museum Küppersmühle in Duisburg eine umfassende Schau gewidmet sein wird.

Die informellen Bildhauer standen und stehen dabei meist im Schatten der Maler; Spontaneität, Geste und Zufall sind in der Tat eine schwierige Handhabe für die an Konstrukt und Schwerkraft gebundene Bildhauerei. Dennoch gab es Mitte / Ende der 50er Jahre eine Handvoll Plastiker, die den statisch-räumlichen Skulpturbegriff befreiten und in ihren Arbeiten ganz neue Kategorien für die Bildhauerei erschlossen.

Zu nennen sind hier die
– impulsierenden, vegetabilen Strukturen von Emil Cimiotti
– die linear zusammengeschweißten Gesten von Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff
– die Raumschichtungen und Raumknotungen in Otto Herbert Hajeks Bronzen
– manche chaotisch-eruptive Reliefs von Ernst Hermanns
– die zentrifugal-linearen Raumzeichnungen Norbert Krickes
– die vibrierenden, musikalisch-poetischen Strukturen in Stahl von Friederich Werthmann.

Dem letztgenannten gilt die Aufmerksamkeit in besonderem Maße. Nach den Retrospektiven in Wuppertal und Marl im Jahr 2003 anlässlich des 75. Geburtstages Friederich Werthmanns widmet sich nun eine Ausstellung im Märkischen Museum in Witten dem Frühwerk des in Wuppertal aufgewachsenen und in Düsseldorf-Kaiserswerth arbeitenden Künstlers.

Die frühen Jahre Friederich Werthmanns sind zugleich die hohen Jahre der informellen Skulptur -– ein künstlerischer Pfad übrigens, den Werthmann in der Folge nie wirklich verlassen hat. Für ihn war und ist dieser Weg kein Weg des „Zufalls“, sondern zeugt vom Anspruch auf die absolute Eigenständigkeit der skulpturalen Form, die nur ihrer eigenen Gesetzlichkeit unterworfen ist, bzw. diese erst bildet.

Noch vor der legendären „documenta 2“ formulierte Friederich Werthmann mit seinen Arbeiten Positionen, die völlig neu waren in der Skulptur der Neuzeit nach 1945. Seine Arbeiten verließen die tradierte Form und bestimmten sich neu in Zeit und Raum. Das Geschlossene wurde geöffnet, die Statik wurde aufgelöst in Bewegung.

Friederich Werthmann – und das ist sein überragendes Verdienst – fand für die Skulptur Wege, die bislang nur der Malerei und Zeichnung zugänglich schienen: Leichtigkeit, Spontaneität, Musikalität.

Dem Werk Friederich Werthmanns der Jahre 1958 bis 1962 ist derzeit eine umfangreiche Ausstellung im Märkischen Museum in Witten gewidmet (bis zum 11.02.2007). In der von Museumsdirektor Dr. Wolfgang Zemter mit viel Feingefühl zusammengestellten Präsentation werden erstmals seit der Einzelausstellung in der legendären, von Jean-Pierre Wilhelm und von Manfred de la Motte geführten „Galerie 22“ in Düsseldorf im Jahr 1960, neben den Skulpturen auch zeitgleiche Tuschezeichnungen und Radierungen gezeigt.

Die graphischen Arbeiten Werthmanns wurden in den vergangenen Jahrzehnten nur selten ausgestellt, schon früh wurde das zeichnerische Werk als untypisch für die Bildhauerzeichnung abqualifiziert. In der Tat skizzieren die Zeichnungen keine projektierten Skulpturen. Die spontan mit Pinsel und schwarzer Tusche ausgeführten Papierarbeiten sind eigenständig, dürfen aber keinesfalls als nur paralleles Werk neben der hauptsächlichen Skulptur angesehen werden. Die Wittener Ausstellung macht den engen Zusammenhang der beiden Werkgruppen augenfällig.

Das zeichnerische Werk ist von hoher bildnerischer Qualität und kreist um die typischen Arbeitsthemen Werthmanns. Es geht um die fließende Kontinuität von Zuständen, um gestische Bewegungsformen, rhythmische Verdichtungen und Überlagerungen. Wie in seinen Skulpturen geht es um Reihungen im Raum, um Intervalle, Schichtungen, Störungen und Verwandlungen.

Friederich Werthmann hat stets seiner Einordnung ins Informel widersprochen mit dem Hinweis, daß die Skulptur physikalischen Bedingungen wie z.B. der Schwerkraft und weniger spontanen Werkverläufen zu unterwerfen sei. Die Kategorie des Zufälligen läßt sich in der Tat kaum auf die Skulptur übertragen, das Material des Bildhauers ist spröder als Öl, Wasser und Pigmente. Klecksen, Dripping oder die großen malerischen Gesten – etwa eines K.O.Götz – funktionieren eben nicht mit Stein, Holz oder Stahl. Die informelle Leichtigkeit, wie sie sich z.B. in den frühen Bildern des früh verstorbenen Peter Brüning zeigt, findet sich interessanterweise dennoch in vielen Werkgruppen von Friederich Werthmann, in den Entelechien, den Sphären, in vielen Reliefs, in den vibrierenden oder sich bewegenden Skulpturen.

Es zeigt sich trotz der Schwere des Materials eine Leichtigkeit, als hätten sich hingeworfene Metallteile im freien Flug zur Form vereinigt, sich miteinander verschweißt. Der Wurf hält inne und wird zur Skulptur. Tatsächlich aber setzen diese Arbeiten logische, statische Schritte, ein klares Konzept voraus. Der Entstehungsprozeß ist paradox zur Wirkung, vorstellbar etwa als eine Art Zeitlupe rückwärts. Die Arbeit folgt ganz bewußten und rein technisch notwendigen Schritten, wird langsam Stück für Stück aufgebaut, zusammengefügt. Im Ergebnis wirkt es dennoch leicht und spielerisch, wie ein Form gewordener Gedanke, als lyrische Beschreibung einer Bewegung, einer Geste oder auch einer musikalischen Erinnerung.

Das ist das Besondere: Friederich Werthmann folgt wohl einem Konzept, einem „concetto“ wie er sagt, aber es ist kein konstruierendes Kalkül, keine Überlegung der Statik, es ist der überlegte Weg zum bildnerischen Ziel der Skulptur, die im Ergebnis durchaus als informel angesehen werden kann.

Die derzeit im Märkischen Museum Witten präsentierte Ausstellung offenbart eindeutig die gedankliche und formale Zusammengehörigkeit von Zeichnung und Skulptur im Werk von Friederich Werthmann. In ihrer ästhetischen Eindeutigkeit unterstreicht die Ausstellung die herausragende Bedeutung Friederich Werthmanns für die Skulptur des 20. Jahrhunderts.

Zur Ausstellung im Märkisches Museum Witten
10.12.2006 bis 11.02.2007