Claudia Posca
Donnerlittchen


Ich weiß, Silvester ist vorbei. Und Sie sind hoffentlich glücklich und gesund ins neue Jahr gerutscht. Ich sogar ohne Knallfrosch und Kracher. Was aber nicht heißt, dass mit all den Funkelraketen anlässlich von ´capodanno`, – wie der ´Kopf des Jahres` hübsch bildlich im Italienischen heißt, tatsächlich aber im Unterschied zu „San Silvestro“ den ersten Tag des neuen jungen Jahres bezeichnet -, jedwedes Explosive aus der Welt flog.
Bester Beweis: Kunst. Explosive Kunst. Nah dran an Donner und Doria! Ganz ohne Böller & Bumm. Oder sagen wir mal so: Die Stahlskulpturen, um die es geht, haben es nicht so mit den Ohren.
Stattdessen zeigen sie, was sie sind: ein eruptives Bersten, Quellen, Explodieren, wohin man guckt. Egal, ob horizontal, vertikal, ob Quader, Röhre, Stele, Kugel. Vielfach steht „Remanit dynamisiert“ auf dem Infoschildchen daneben. Es kann aber auch „Kugel mit Blötsche“, „Metabolos“, „Dyna-Conca“ oder „S´po´be´mia“ heißen, was echt Spaß macht, das Lautmalen lippenlaut zu testen. Wobei „S´po´be´mia“ Tessiner Dialekt ist und so viel wie „das kann ja wohl nicht sein“ bedeutet. Vermutlich hat der Künstler eine italienische Passion. Sympathisch.
Überhaupt: Staunen ist das Ticket der Wahl fürs Verstehen der Gleichzeitigkeit von skulpturaler Form und Formlosigkeit dieser außergewöhnlichen Kunst. Ihr so ganz anderes Silvester kommt als Normverstoß daher: Adé bildhauerische Tradition. Wer schon arbeitet mit Feuer und Lunte an informeller Plastizität?
„Jetzt sag schon: Wo gibt´s denn den wunderlichen Western?“
Nix da, es geht nicht ums Ballern. Da steckt `ne ganze Menge Konzept drin. Kein kurzfristiges Imponieren. O-Ton vom Künstler:
„Ähnlich wie in der Musik beruht auch bei mir das Gestaltungsprinzip auf Reihungen im Raum, Rhythmen, Strukturen, Schichtungen… Der Stahl gibt mir die Möglichkeit, durch besonders große Auflösungen und Verdichtungen Bewegungsformen zu gestalten, bei denen die Schwere des Materials aufgehoben und zugleich die Statik in Dynamik umgewandelt zu sein scheint.“

Aber der Reihe nach: Gucken kann man die seltenen Skulpturen quasi ums Eck im Märkischen Museum Witten, Husemannstraße 12. Noch bis zum 14. Januar. Und - ich geb` mein Wort drauf: Auch Sie werden so was wie Donnerlittchen denken, wenn sie dem vollplastischen Feuerwerk frönen. Keine Glimmersternchen-Poesie, sondern Augen-Kawumm.
Zumal der Macher ein Großer unter den Stahlbildhauern an Rhein und Ruhr ist, kein Zampano für Knalleffekte. Am 16. Oktober des vergangenen Jahres hat er seinen 90. Geburtstag gefeiert: Friederich Werthmann. 
Die „Stahl, Poesie, Dynamik“-Ausstellung ehrt den Meister skulpturaler Detonationen mit einem Parcours, darin sich Werke vom Anfang der 1970er Jahre bis Ende 1990 versammeln. Ergänzt werden sie durch Tuschezeichnungen der letzten Jahre und durch  Arbeiten befreundeter, legendärer Maler von Peter Brüning über Winfried Gaul und K.O. Götz bis hin zu Gerhard Hoehme, Otto Piene, die ´ihren` Friederich schätzten. „Ich wäre gerne gegen Sie angetreten“, hatte etwa der große Jean Arp (1886-1966) gesagt, als er erfuhr, dass Friederich Werthmann 1962 die Ausschreibung zu einer Duisburger Skulptur im öffentlichen Raum gewonnen hatte.
Dabei ist der 1927 in Barmen Geborene als Künstler Autodidakt, hatte sich nach Abschluss einer Maurerlehre 1947 fürs Kunstmachen entschieden, wird Mitglied der rheinischen Avantgarde-Künstlergruppe „Gruppe 53“, arbeitet seit 1957 ausschließlich in Stahl und zwischen 1968 und `78 in San Nazzaro/Tessin. Heute zählt Friederich Werthmann zu den  bedeutendsten abstrakten Bildhauern der deutschen Kunst nach 1945.
Seine Spezialität: Skulpturen unter freiem Himmel im urbanen Raum. Auf dem ehemaligen Friedhof Brassert in Marl, heute Skulpturenpark des Skulpturenmuseums Glaskasten Marl, steht auch so eine: die „Wand Wegener“, ein zwölf Meter langer, im Stil des Informel dynamisch-wimmelig gearbeiteter Paravent aus unzähligen Remanit-Metallteilchen.

„Wow, jetzt weiß ich auch, wer Friederich Werthmann ist. Besser gesagt, ich kenne seine Mercator-Kugel in Duisburg.“
Ja, uns Ruhris ist sie natürlich vertraut, die sechs Meter hohe, vier Meter im Durchmesser messende, stählerne „Hommage à Mercator“ am Duisburger Kuhlenwall 20 zwischen Innenstadt und Innenhafen. Wer die durchbrochene Riesen-Welt einmal gesehen hat, vergisst sie so schnell nicht - ein enormes City-Wahrzeichen. Wie sehr „Mercators Ball“ dazu gehört, zeigte sich, als er futsch war. Für sieben lange Jahre auf dem Duisburger Betriebshof in Kaßlerfeld zwischengelagert. Da fehlte den Duisburgern ganz mächtig was in ihrer Mitte. Jetzt ist die Großskulptur seit 2012 wieder öffentlich. Für hoffentlich lange Zeit.
„Was mir grad so durch den Kopf geht: Wie macht er das eigentlich mit den Explosionen? Einfach so los zündeln, ist ja wohl nicht.“
In der Tat, das wäre gefährlich. Also plant Friederich Werthmann präzise, wohin die Reise geht, auch wenn der Zündstoff zufallsbedingt eruptive Eigendynamiken entwickelt. In Zusammenarbeit mit erfahrenen Sprengmeistern wird Dynamit wohldosiert. Im Bauch der Skulptur oder festgezurrt auf ihrer Außenhaut. Der Ort ist eine sichere Sandkuhle auf einem Sprengplatz.
„Die Sprengsätze können mit konvexer und konkaver Wirkung gesetzt werden. Werthmann verwendet auch mit Nitro-Penta in Pulverform gefüllte ca. 1,5 cm starke Schläuche, die linienförmige Sprengungen ermöglichen… Mit solchen Sprengschläuchen wurden u.a. die Dyna-Pakete und die Reliefs der „Schlangenspur“ wesentlich geformt“, steht`s im lesenswerten Katalog notiert.
Heißt de facto: Das plastische Coming-Out hat informelle Gestalt, - knospen- und kraterförmig, zerfetzt, verbeult, dynamisiert. 

„Da wär ich gern mal dabei gewesen. Kunsthistorischer Zündstoff en masse.“
Hab` ich doch gesagt: Bums steckt drin. Still beschaulich explosiv – „s´po´be´mia“. 

aus: https//www.kunstgebiet.ruhr